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Babyklappe hat mit vielen Gegnern zu kämpfen
Droht ein Findelkinder-Boom?

Medical Tribune Bericht

HAMBURG - Der Säugling war voll lebensfähig. Er wurde jedoch in einem Altpapiercontainer oder bei der Müllabfuhr zu Tode gequetscht x96 so das Obduktionsergebnis. Das Neugeborene war eines von fünf ausgesetzten Babys in der Hansestadt Hamburg 1999. Daraufhin installierte der Hamburger Jugendhilfeverein "Sternipark" im März 2000 die erste Babyklappe in Deutschland.

Inzwischen gibt es hier zu Lande etwa 40 derartige Einrichtungen. Sie heißen "Babywiege", "Mosesfenster" oder "Lebenspforte". Die meisten wurden von, vor allem christlichen Krankenhäusern eingerichtet, andere werden von Vereinen oder Stiftungen betrieben. In der Regel handelt es sich um eine Öffnung, hinter der sich ein Wärmebettchen befindet. Wird ein Kind in dieses hineingelegt und die Klappe geschlossen, ertönt im Haus ein Signal. So ist gewährleistet, dass das Kind schnellstens medizinisch versorgt werden kann. Für acht Wochen kommt das Baby dann in eine Pflegefamilie. In dieser Zeit kann die Mutter ihre Entscheidung überdenken. Erst wenn sich die Mutter des Babys nicht mehr meldet, werden das Vormundschaftsgericht und die Adoptionsstelle informiert.

Anomyme Beratung für Schwangere

"Die Anzahl der tot aufgefundenen Neugeborenen ist von 22 im Jahre 2000 auf 14 im Jahre 2001 zurückgegangen, die Anzahl der ausgesetzten Säuglinge hat sich von 18 auf 9 halbiert", präsentiert der Verein Sternipark die bundesweite Bilanz. Auch die Seelsorgerin der Babyklappe am Krankenhaus Waldfriede in Berlin, Pastorin Gabriele Stangl, bestätigt den Erfolg des Angebots. Die Zusage der Anonymität ermutigte Frauen, sich beraten zu lassen. "In der Regel rufen die Schwangeren unter der Hotline an. Wenn dann ein Fünkchen Vertrauen aufgebaut ist, bitte ich sie um ein persönliches Gespräch. Ihren Namen müssen sie nicht nennen". 15 Frauen haben seit September 2000 Kontakt gesucht, eine von ihnen hat sogar ihr Kind zu Hause behalten.

Missbrauchen Zuhälter das Mosesfenster?

Die Babyklappen-Praxis ist jedoch keineswegs unumstritten. Zum Beispiel wurden Bedenken laut, es könnten Neugeborene ohne Zustimmung der Mutter ausgesetzt werden, und die vielleicht sogar von Zuhältern. Professor Dr. Anke Rohde und Professor Dr. Mechthild Neises von der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe befürchten gar einen regelrechten Abgabeboom. In einem offenen Brief an die Bundesjustizministerin Hertha Däubler-Gmelin (SPD) verweisen sie auf Zahlen aus Frankreich, wo seit einer Gesetzesregelung zur anonymen Geburt 1941 etwa 400 000 Personen der "Generation X" angehörten. Ob die Aussetzung von Kindern oder gar die Tötung eines Kindes durch anonyme Geburten verhindert werden könne, sei "weder durch wissenschaftliche Erhebung noch durch empirische Funde belegt", schreiben sie.

Die Adoptionsforscherin Professor Dr. Christine Swientek, Hannover, sieht in der Babyklappe sogar "schlimme Folgen für alle Beteiligten": Mütter hätten mit der Entscheidung der Adoptionsfreigabe ihr Leben lang zu kämpfen, und Findelkinder hätten Probleme mit Selbstfindung, Bindung, Partnerschaft und Familiengründung. Für Ursula Künning, Leiterin des Verbundprojektes "Babyklappe" von Caritas und Diakonie in Berlin, sind viele der Bedenken "schon wahr", aber in erster Linie gehe es doch "um das Überleben der Kinder". Die Babyklappe sei ein "extremes Angebot für extreme Situationen". Und auch die Kinderkommission des Deutschen Bundestages hält "das Recht auf Leben für gewichtiger als das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung". Babyklappen-Betreiber begeben sich mit ihrem Tun jedoch in eine rechtliche Grauzone, denn die Nichtanzeige einer Geburt ist eine "Personenstandsunterdrückung" und kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren geahndet werden.

Juristische Klärung dringend nötig

So ermittelte 2001 die Staatsanwaltschaft Köln gegen den Sozialdienst Katholischer Frauen, weil die Mitarbeiter des "Moses-Baby-Fensters" die Identität einer Mutter nicht preisgeben wollten. Das Verfahren wurde später jedoch eingestellt. Klare rechtliche Prämissen sind also dringend nötig. Ein 2000 von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion eingereichter Gesetzentwurf zur Änderung des Personenstandsgesetzes wird noch in den Ausschüssen diskutiert.


MTD, Ausgabe 14 / 2002 S.20, kol

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