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Gehört Baby-Mörderin zum Klinikpersonal?
DNS-Massentest im Krankenhaus

Medical Tribune Bericht

BERLIN - Die Berliner Polizei lässt derzeit massenhaft DNS-Profile erstellen. Das Ungewöhnliche sind die Testpersonen: allesamt Mitarbeiterinnen des evangelischen Krankenhauses Waldfriede im Stadt-teil Zehlendorf. Anlass ist der Mord an einem Neugeborenen, das im Juli in der Babyklappe des Hauses gefunden wurde.

Als am 8. Juli dieses Jahres kurz nach Mittag das Signal ertönte, welches auf ein neues Findelkind aufmerksam macht, eilte eine Schwester sofort herbei. Sie nahm den Säugling, der gut gekleidet und mit einer Decke umhüllt war, an sich und brachte ihn auf die Geburtsstation.

Zuerst sah es aus wie ein normaler Vorgang, das heißt wie eine reguläre anonyme Abgabe eines Kindes ins beheizte Wärmebettchen. Wie sich jedoch bei der ärztlichen Untersuchung zeigte, war der Junge seit Stunden tot. Der kleine Körper war mit Messerstichen übersäht. Fünfzehnmal hatte der Mörder oder die Mörderin zugestochen.

450 Mitarbeiterinnen zum Speicheltest

Nach Angaben der Polizei, die inzwischen für sachdienliche Hinweise 5000 Euro Belohnung ausgesetzt hat, wurde das vermutlich ein bis zwei Tage zuvor ohne fachmännische Hilfe entbundene Kind von einer dunkelhaarigen jungen Frau und einer älteren Begleiterin in die Klinik gebracht.

Rund 150 Hinweise aus der Bevölkerung sind inzwischen eingegangen. Was die Ermittler aufhorchen ließ, waren Zeugenaussagen, nach denen die beiden Frauen zum Transport des Kindes einen braunen Rollwagen benutzten. "Diese Wagen aber stehen im rückwärtigen Teil des Krankenhauses an der Warenannahme, so dass für uns die Ortskenntnis ein kleiner Anhaltspunkt bei den Nachforschungen ist", so ein Polizeisprecher.

Doch auch, wenn es sich nur um einen "kleinen" Anhaltspunkt handelt, für die Einrichtung der Adventisten der Sieben Tage löste er eine Lawine von negativ wirkenden Presseberichten aus: Das Brisante an der Sache war, dass die Polizei schließlich die 450 weiblichen Mitarbeiter "auf freiwilliger Basis" zum Speicheltest bat.

Nach der ersten Empörung und Nachfragen beim Berliner Datenschutzbeauftragten sind inzwischen 350 Frauen der Aufforderung nachgekommen. "Wer noch im Mutterschaftsurlaub, in den Ferien oder krank ist, wird von uns noch einmal persönlich angeschrieben und um Mithilfe gebeten", so der Polizeisprecher. Ende Dezember soll die Aktion abgeschlossen sein.

"Die Emotionen nach dem Auffinden des toten Kindes haben wir durch seelsorgerische und psychologische Einzelbetreuung sowie Gespräche im Team noch relativ gut aufgefangen", erklärte Dr. Siegbert Heck, Chefarzt der geburtshilflichen Abteilung, gegenüber Medical Tribune. Der DNS-Massentest aber sei eine "Katastrophe für das Haus".

Schwangere entbinden lieber woanders

Seitdem die Polizei ihren Verdacht, die Täterin gehöre oder gehörte möglicherweise der Klinik an, öffentlich gemacht hat, gingen die Anmeldungen zur Geburt "dramatisch zurück". Dr. Heck spricht von 50 % und mehr Absagen und einem wohl erst Ende des Jahres bezifferbaren wirtschaftlichen Schaden für die Klinik, die 1998 vom Nachrichtenmagazin "Focus" als eines der 300 besten Krankenhäuser Deutschlands benannt wurde. Besonders verärgert ist Dr. Heck jedoch darüber, dass in Zusammenhang mit den Vorfällen auch vereinzelt die Babyklappe an sich negativ bewertet wird. "Dabei hat sich das Projekt seit zwei Jahren bewährt. 25 Schwangere haben wir seitdem beraten und betreut. Dreimal ist ein Neugeborenes bei uns abgegeben worden", sagte der Frauenarzt. Auch nach dem schrecklichen Vorfall im Juli habe ein gesundes Neugeborenes in der "Babywiege" gelegen. Die Klinik halte das Babyklappen-Angebot für Mütter in Not auf alle Fälle aufrecht.

MTD, Ausgabe 44 / 2002

Copyright: Cornelia KolbeckNachdruck nur mit Genehmigung